Die klassische Depression kommt als schwarzes Wesen: kalt, böse und übermächtig, aber wahrnehmbar. Ganz anders verhalten sich die hochfunktionale Depression und Dysthymie: Sie sind das Trojanische Pferd unter den Depressionen, umgehen tückisch zunächst jeden Wachposten, auch den Ihren. Daher ist die spannende Frage: Werden Sie als Betroffene oder Betroffener diesen Artikel überhaupt lesen wollen?


Woran kann man Dysthymie oder hochfunktionale Depression erkennen?

Klassisch an einer schweren Depression Erkrankte sind antriebslos, können alltäglichen Aufgaben nicht mehr nachkommen und leiden erkennbar.

Eine Dysthymie zeigt weniger Symptome und ist milder, dafür aber mitunter schon jahrelang Teil Ihres Lebens, das Sie in einem schleichenden Prozess zunehmend schwerer bewältigen. Bei der hochfunktionalen Depression bzw. High Functioning Depression scheinen Sie hingegen Karriere, Alltag und Freizeit vermeintlich locker unter einen Hut zu bekommen. Sie sind perfektionistisch, erfolgreich und sehr aktiv – doch nur noch unter einem enormen Kraftaufwand. Die Anzeichen einer Depression sind dann nicht augenfällig. Eine gewisse Gewöhnung ist bereits eingetreten: „Vielleicht ist das ja der Preis, den ich bezahlen muss.“ Sie konnten bislang ja trotzdem leistungsstark sein, auch wenn sich Befürchtungen und Selbstkritik nun mehren. Das Ganze ist unverständlich, für Sie, für Ihr soziales Umfeld, manchmal selbst für professionelle Behandelnde. 

Prüfen Sie sich daher ehrlich auf folgende Symptome:

  • Erschöpfungszustände
  • Hoffnungslosigkeit
  • Selbstzweifel
  • Appetitlosigkeit oder Heißhunger
  • Ein- oder Durchschlafprobleme
  • Gefühl, nicht verstanden zu werden

Einige Symptome einer Depression treffen auf Sie zu?

Wie wird die hochfunktionale Depression bzw. Dysthymie behandelt?

Auf Wunsch stehen für Betroffene grundsätzlich die gleichen Behandlungswege offen wie den im klassischen Sinne Depressiven. Eine Gesprächstherapie, die die hochfunktionale Depression bzw. Dysthymie in ihrer Besonderheit achtet, ist ein guter Einstieg. Möglicherweise braucht es dafür auch den Schutzraum einer Klinik. Hier können sich Betroffene in anderen Patienten heilsam wiedererkennen, die ebenfalls an einem der beiden Krankheitsbilder leiden.

Ergänzend sind weitere Verfahren notwendig: Bewegung und Sport helfen, das Energielevel hochzuhalten und geben Ehrgeiz und Leistungswillen weiterhin Raum.
Folglich werden dann auch ergänzende Entspannungsmaßnahmen wichtig. Hier sind die dynamischen Methoden den statischen zunächst vorzuziehen: also eher Progressive Muskelentspannung und Tai-Chi statt Meditation oder Atemübungen in bewegungsloser Stille. Die Problematik liegt statt in der Behandlung der hochfunktionalen Depression also eher in der Frage, wie der Betroffene überhaupt zur Therapie kommt.

Aufgabe für Allgemeinmediziner und Umfeld

Betroffene reagieren zunächst, wenn überhaupt, auf die leistungsmindernden und vermeintlich körperlichen Symptome. Diese doch bitte zu beseitigen ist der Auftrag, den Sie dann wahrscheinlich einem Arzt erteilen. Einer Thematisierung der dahinterliegenden Wahrheiten wird zumeist ausgewichen. 

So erleben es auch Angehörige und Personen aus dem sozialen Umfeld eines depressiven High Performers. Sie können die verdeckte, innere Tragödie bestenfalls ahnen, aber nicht verstehen: „Bei dir läuft es doch, du müsstest der glücklichste Mensch der Welt sein.“ Oder sie raten zum kompletten Herunterfahren aller Aktivitäten: „Du musst dich jetzt um deine Seele kümmern“ – und stoßen mit solch einem für Betroffene völlig abwegigen Vorschlag erst recht auf Gegenwehr.  Wirklich unterstützen kann den an einer Hochfunktionalen Depression Erkrankten eine persönliche Haltung, welche die hohe Leistung und gleichzeitig die innere Tragik anerkennt. High Performern begegnet oft genug schon Unverständnis, Neid und Missgunst. Auch psychologisch Behandelnde sollten das bedenken.

Eine einfühlsame Therapie stellt zum Beispiel die Frage danach, was die hohe Leistung kompensieren soll:

  • eine innere Leere?
  • fehlende soziale Kontakte?
  • unerfüllte Sehnsucht nach Liebe?
  • einen alten verdeckten Schmerz?
Berufstätige Mütter müssen oft in zwei Bereichen funktionieren und lassen sich eine hochfunktionale Depression nicht anmerken.
Beruflicher Erfolg und privates Glück können eine Depression verschleiern.

Wer hier ehrlich auf die Suche geht und den inneren “Schatten” integrieren kann, der kann High Performer bleiben: Freude am eigenen Tun darf sein! Betroffene werden den Flow, wie der ungarische Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi diesen Zustand sinnig bildhaft bezeichnete, wieder genießen, daran wachsen und sich damit seelisch stärken.