Kann man eine Depression am Gesicht eines Menschen erkennen? Kurze Antwort: Nein, als Laie schaffen Sie das vermutlich nicht. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben jetzt aber herausgefunden, dass die Erkrankung über die Augen messbar sein könnte: Offenbar fällt die Pupillenreaktion bei depressiven Menschen anders aus als bei Gesunden. Wir fassen zusammen, was das für die Diagnose bedeutet und welche klassischen Alarmsignale auf eine Depression hindeuten.

Was die Augen über unseren psychischen Zustand verraten

Bekanntlich reagieren unsere Pupillen auf Licht: Sie verengen sich bei starkem Lichteinfall und erweitern sich, wenn wenig Licht zur Verfügung steht. Das ist für uns selbst und andere deutlich sichtbar. In geringerem Umfang wirken sich aber auch emotionale Prozesse auf die Größe der Pupillen aus. So erweitern sich die Pupillen bei einer positiven emotionalen Erregung, was aber nur mithilfe eines Eyetrackers messbar ist. Dahinter steckt offenbar eine erhöhte Aktivierung bestimmter Gehirnareale.

So können Forscher Depressionen am Gesicht erkennen

Forscher am Max-Planck-Institut haben untersucht, ob die Pupillenreaktion auf emotionale Reize bei depressiven Menschen anders ausfällt als bei Gesunden – und man eine Depression dadurch am Gesicht erkennen könnte. Dazu ließen sie Probandinnen und Probanden an einem Spiel teilnehmen, bei dem es einen kleinen Geldbetrag zu gewinnen gab. Dieser Stimulus löst im Normalfall eine positive emotionale Reaktion aus.

Gesunde Probanden reagierten auch erwartungsgemäß auf die finanzielle Belohnung, indem sich ihre Pupillen leicht erweiterten. Bei depressiven Versuchspersonen fiel die Reaktion auf den Anreiz hingegen deutlich geringer aus. Dabei spielte auch der Schweregrad der Depression eine Rolle: Je ausgeprägter die Krankheitssymptome waren, desto weniger vergrößerten sich die Pupillen der Probanden. Auf diese Weise konnten die Forscher tatsächlich die Depression am Gesicht erkennen – wenn auch nur mit den professionellen Methoden eines psycho-physiologischen Messlabors. (Mehr zur Studie finden Sie hier.)

Die Pupillenreaktion depressiv Erkrankter ist verändert, insofern lässt sich eine Depression am Gesicht erkennen.

Biologischer Marker könnte klassische Diagnose ergänzen

Doch wie kommt es zu diesen Ergebnissen? Studienleiter Prof. Dr. Victor Spoormaker vermutet, dass sich bei depressiven Menschen bestimmte Gehirnareale weniger leicht aktivieren lassen. Ihr Nervensystem spricht sozusagen unzureichend auf positive Umweltreize an. Das könnte typische Symptome der Depression – wie Freudlosigkeit und Antriebsmangel – teilweise erklären.

Der Nutzen der Pupillen-Vermessung, so Spoormaker, könnte langfristig in einer wissenschaftlich fundierteren Diagnose bestehen. Denn bisher können Ärztinnen und Ärzte eine Depression nur anhand der subjektiven Aussagen von Betroffenen diagnostizieren. Es gibt kaum Möglichkeiten, „in den Kopf des Patienten zu blicken“ und mögliche neurobiologische Veränderungen im Gehirn direkt zu erfassen. Die Zuhilfenahme eines Eyetrackers, der eine Depression am Gesicht oder speziell an den Augen (bzw. der Pupillenreaktion) erkennt, könnte die klassische Diagnose erweitern und um einen biologischen Aspekt ergänzen. Freilich sind dabei noch viele Fragen offen: So ist unklar, ob alle Menschen mit Depressionen eine verminderte Pupillenreaktion zeigen, oder ob es sich dabei nur um eine Untergruppe handelt.

Welche klassischen Anzeichen deuten auf eine Depression hin?

Symptome der Smiling Depression weichen mitunter ab.

Um eine Depression am Gesicht eines Menschen zu erkennen, braucht es somit wissenschaftliche Messmethoden, die präziser sind als die menschliche Wahrnehmung. Selbst für Fachärzte mit langjähriger Erfahrung ist eine Depression alles andere als eine „Blickdiagnose“. Denn das Krankheitsbild hat buchstäblich viele Gesichter und kann sich durch eine große Bandbreite an Beschwerden ausdrücken. Als klassische Symptome einer Depression gelten:

  • gedrückte Stimmung, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit
  • Freudlosigkeit, Interessenverlust
  • Antriebslosigkeit, geringere Belastbarkeit
  • vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle
  • Schlafstörungen (meist Schlaflosigkeit, selten vermehrter Schlaf)
  • Veränderungen des Appetits (Appetitlosigkeit oder verstärkter Appetit)
  • Konzentrationsprobleme
  • erhöhte Reizbarkeit
  • pessimistische Gedanken, Zukunftsängste
  • Suizidgedanken und -absichten

Die Schwierigkeit dabei: Nicht jeder Betroffene zeigt alle diese “idealtypischen” Anzeichen einer Depression. Zudem gibt es atypische Formen wie die umgangssprachlich oft als „Smiling Depression“ oder „hochfunktionale Depression“ bezeichneten Varianten, bei der Betroffene nach außen hin höchst unauffällig wirken.

Smiling Depression: Wenn sich die Depression hinter einer perfekten Fassade verbirgt

Menschen mit einer hochfunktionalen Depression treten beruflich und privat sehr erfolgreich auf und scheinen ihr Leben perfekt im Griff zu haben. Ihr Leiden spielt sich in erster Linie innerlich ab: Sie fühlen sich erschöpft, verzweifelt und zunehmend ausgebrannt, können das nach außen hin aber perfekt überspielen. Doch auch wenn Menschen mit atypischen Formen wie der „Smiling Depression“ nicht durch offensichtliche Symptome auffallen, bedarf die Krankheit einer Behandlung! Ohne ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe kann sich die Depression chronifizieren. Manche Betroffene entwickeln mit der Zeit psychosomatische Beschwerden oder gefährden sich durch „Selbstbehandlungsversuche“ mit Rauschmitteln wie Alkohol.

Depression am Gesicht zu erkennen ist für Laien unmöglich

Angehörige und Beziehungspartner erkennen die Anzeichen einer Depression besser als andere.

Egal, ob klassische oder hochfunktionale Variante: Eine Depression am Gesicht zu erkennen, ist im Rahmen normaler Begegnungen praktisch nicht möglich. Nur sehr nahestehende Menschen – wie Partner oder enge Freunde – nehmen manchmal subtile Veränderungen im Gesichtsausdruck, in der Mimik oder Körperhaltung wahr. Mediale Darstellungen von depressiven Menschen mit hoffnungslosem Blick oder verweinten Augen entsprechen jedenfalls eher einem Klischee als der Wirklichkeit.