Wenn das Leben mit 50+ aus den Fugen gerät

Sie treffen seit Jahrzehnten Entscheidungen. Sie besetzen aktuell noch viele Posten im Management. Sie sind anderen Generationen zahlenmäßig weitaus überlegen. Und ihrer Arbeitsmoral trauern viele Personaler bereits vor dem sukzessiven Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt nach. Mit ihrem ausgeprägten Arbeitsethos und Leitsätzen wie – „Nur wer etwas leistet, ist auch etwas wert“ – hat die Nachkriegsgeneration beruflich viel auf die Beine gestellt und durch ihren unerbitterlichen Einsatz zugleich das Erschöpfungssyndrom Burnout – Begriffsverwendung erstmals 1974 in den USA – geprägt.

Wie Statistiken zeigen, ist gerade sie häufig von einem Burnout betroffen. [1]

Weshalb das so ist, wie man die Symptome erkennt und gegebenenfalls gegensteuern kann, erklärt Dr. med. Draschka, Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein.


Herr Dr. Draschka, die geburtenstarke Generation 50+ gilt als hochzufriedene, entspannte und gesunde demographische Gruppe. Doch wie Statistiken zeigen, ist gerade sie häufig von einem Burnout betroffen. Woran liegt das?

Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Die Angst, bei dem technischen Fortschritt nicht mithalten zu können, die Pflicht ständiger Erreichbarkeit und die Angst vor Kündigung sind nur einige wesentliche Punkte. Hinzu kommen weitere Faktoren wie steigender Produktivitätsdruck bei gleichzeitigem Motivationsverlust. Dies alles kann zu hohem Druck führen und löst oftmals die „großen“ Sinnfragen und sogar Identitätskrisen aus, die das ganze Leben in Frage stellen. Dieser erhebliche Stress lässt sich mit maximaler Ausschöpfung der persönlichen Energieressourcen nur begrenzte Zeit auffangen. Ein Burnout ist vielfach nur eine Frage der Zeit.

Burnout – Was ist das? Wer bekommt ihn? Wie äußert er sich?

Faule Menschen sind davor geschützt?

Richtig ist, dass in erster Linie sehr leistungsorientierte Menschen betroffen sind. Wer es gelassener und weniger ehrgeizig angeht, der reduziert natürlich auch Erwartungshaltung und Leistungsdruck. Doch unabhängig davon ist das Ursachenspektrum ja weitaus vielfältiger und komplexer. Nicht selten geraten beispielsweise Menschen auch durch lange Arbeitslosigkeit, die intensive Pflege eines kranken Angehörigen oder andere familiäre Probleme so stark unter Druck, dass es zu seelischen Störungen wie einem Burnout kommt.

Was sind typische Alarmsignale?

Meist zeigt sich ein chronischer Erschöpfungszustand erst, wenn die üblichen Erholungszeiten zum Regenerieren nicht mehr ausreichen: Schlaflosigkeit, Unruhe, reduzierte Leistungsfähigkeit, innere Leere und Antriebslosigkeit sind typische Zeichen. Abschalten und Entspannen gelingen nicht mehr. Sozialer Rückzug, geringer werdende Empathie und Resignation bis hin zur Depression können die Folge sein. Aber auch Magen- und Rückenschmerzen, Sodbrennen oder Tinnitus weisen in manchen Fällen auf ein Burnout hin.

Was genau ist ein Burnout?

Unter einem Burnout verstehen wir einen tiefgreifenden, sowohl körperlichen als auch psychischen Erschöpfungszustand. Voraus gehen meist länger andauernde Überlastungen und Überforderungen. Dabei ist nicht allein ein überhöhtes Arbeitspensum das Problem. Vielmehr ist es ein Gefühl der Machtlosigkeit, des Kontrollverlusts und der Sinnlosigkeit.

Welche Faktoren sind außer den beruflichen bei der Entstehung ausschlaggebend?

Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Im wesentlichen sind das anlage- und erziehungsbedingte Persönlichkeitsmerkmale, die eigene Lebens- und Erfahrungsgeschichte sowie belastende Situationen im familiären Umfeld oder der Partnerschaft – wobei meist nicht die einmalige hohe Belastung entscheidend ist, sondern eher längerfristige Überlastungen.

Was tun bei Burnout?

Was können Betroffene tun?

Viele Betroffene scheuen sich, Hilfe zu suchen. Dabei ist eine ärztliche oder psychologische Beratung, die den Beginn einer Therapie nahelegen kann, kein Zeichen von Schwäche oder Scheitern, sondern vom verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst.

Was sind die primären Therapieziele?

Ziel ist es, mit dem Patienten einen möglichst optimalen persönlichen Weg zu finden, um künftig ohne gesundheitliche Probleme mit Druck und Stress umgehen zu können. Dazu gehört es auch, eigene Ansprüche an sich selbst genau zu überprüfen. Denn häufig kommt die Überforderung nicht nur von außen.

Wie lässt sich ein „Zusammenbruch des eigenen Lebens“ vermeiden?

Zunächst gilt es, sich die eigenen Belastungsgrenzen bewusst zu machen. Also darauf zu achten, diese Grenzen einzuhalten und nicht ständig darüber hinaus zu gehen. Immer erst die Pflicht, nie das Vergnügen – damit sollte Schluss sein. Ein Ausgleich zu hohen Belastungen, seien sie nun privater oder beruflicher Natur, ist wichtig – dazu zählen soziale Kontakte und Interessen außerhalb des Berufs, Bewegung sowie Sport. Und natürlich: ehrlich zu sich selbst zu sein, die eigenen Ansprüche zu überprüfen – und eventuell der persönlichen Belastbarkeit anzupassen. Wer versucht, immer alles 150-prozentig zu machen, ist langfristig hochgradig Burnout-gefährdet.

Einmal Burnout, immer Burnout?

Ein Burnout ist heilbar, doch Rückfälle sind natürlich nicht ausgeschlossen. Wichtig ist es, dass den Betroffenen ihr Problem bewusst wird und sie entsprechende Schutzmechanismen bzw. Strategien zur Stressbewältigung erlernen. In vielen Fällen kann die Psychotherapie, insbesondere die Verhaltenstherapie, hilfreich sein. Standard-Lösungen gibt es aber nicht. Vielmehr sollte die medizinische Hilfe auf den jeweiligen Patienten und dessen Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die Art der Beschwerden abgestimmt sein. Über 90 Prozent der Betroffenen gelingt übrigens die Rückkehr in den Beruf.

Zudem gilt: Jede Lebenskrise bietet auch die Chance eines Neubeginns.

[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239675/umfrage/arbeitsunfaehigkeitstage-aufgrund-von-burn-out-nach-alter-und-geschlecht/#:~:text=Im%20Jahr%202021%20zählte%20die,Lebensjahr%20ein%20Burn%2Dout%20diagnostiziert.