Wer arbeitssüchtig ist, mag sich zuweilen bedauern. Für viele Betroffene ist es aber zugleich ein Trost, dass Arbeit als ein hohes Gut angesehen ist – und sie tun sogar des Guten zu viel. Sich freiwillig in Lebensgefahr bringen will sich wohl kein Workaholic, doch unterliegt er oft längst der vermeintlich übermächtigen Kraft einer veritablen Sucht. Und kann die Gesundheit kosten, bis hin zum eigenen Leben.

Bin ich arbeitssüchtig?

Der seit über 30 Jahren umgangssprachlich genutzte Begriff „Workaholic“ schlägt die Brücke zwischen Arbeit und Sucht. Arbeitssucht ist offiziell keine Krankheit. Wer arbeitssüchtig ist, zeigt zunehmend:

  • nicht funktionalen Perfektionismus,
  • von inneren Zwängen getriebenes übergroßes Arbeitspensum und
  • zunehmend Drang nach Dosissteigerung bei gleichzeitigem Kontrollverlust.

Warum immer mehr? Angenehme anfängliche Effekte wie etwa Anerkennung durch Mehrleistung schwächen sich ab, bei „Arbeitsentzug“ (Feierabend, Wochenende und Urlaub) zeigt sich Unwohlsein. Der leichte Zugang zum Suchtmittel Arbeit ist ein zusätzlicher Gefährdungsfaktor. So sind Selbständige und Führungskräfte besonders gefährdet wie auch in der Öffentlichkeit agierende Manager, Politiker oder Prominente. Ärzte, Lehrer und sozial Arbeitende sind ebenso auffallend häufig arbeitssüchtig.

Welche möglichen Gründe hat eine Arbeitssucht?

Analog zum Alkoholismus gibt es stimmige Erklärungsansätze, die auch kombiniert auftreten können:

  • Durch vernachlässigende, eventuell suchtkranke Eltern entsteht im Kind ein seelisches Loch aus Sinnlosigkeit und Angst, das gefüllt werden muss. Zwanghaftes Verhalten bietet sich geradezu an dafür, Arbeit ist hier und heute eine legale, gar verpflichtende Droge mit überragender gesellschaftlicher Reputation.
  • Durch Eltern wird ein übersteigerter Leistungsanspruch erzeugt: Entweder werden Normen ehrgeiziger Eltern ungefragt übernommen oder beruflich und sozial erfolglose Eltern machen die Kinder arbeitssüchtig aus Angst, ebenso kläglich zu versagen.
  • Manche Menschen entdecken in einer Krise zufällig das Suchtmittel des übermäßigen Arbeitens, welches dann negative Zustände zunächst tatsächlich mindert. Nur wird man die anfangs hilfreichen Geister am Ende nicht mehr los – das typische Suchtdrama beginnt.
  • Das Suchtmittel Arbeit ist stets und überall verfügbar wie nie: Laptop, Internet, Handy und Homeoffice machen Arbeit unter oben skizzierten Voraussetzungen ortlos, zeitlos und zur Droge. Wenn im fortgeschrittenen Stadium Leistung nicht mehr erbracht wird, sind typische Handlungen wie Mails, Telefon und SMS checken und im Internet surfen leerdrehende Rituale, die nur noch vermeintliches Tätigsein vorgaukeln.

Gleichzeitig werden Menschen dadurch in Arbeitssituationen vereinzelt wie nie zuvor. In Kliniken für Arbeitssüchtige müssen überwiegend sich digital verhaltende Menschen lernen, im Umgang mit sich und anderen wieder analog zu sein.

Welche Phasen der Arbeitssucht sind beschreibbar?

Arbeitssüchtig ist, wer sich in einer der 4 idealtypischen Krankheitsphasen wiedererkennen kann:

  1. Anfangsphase: Arbeit wird zum bestimmenden Lebensinhalt. Mitmenschen, eigene Interessen und sonstige Pflichten werden vernachlässigt. Heimliches Arbeiten beginnt, man verschanzt sich hinter beruflichen Aufgaben.
  2. Kritische Phase: Das Privatleben wird der Arbeit untergeordnet. Arbeitsaufgaben werden gehortet, zunehmend aber nicht mehr bewältigt. Erste Folgeerscheinungen treten auf wie körperliche und seelische Erschöpfung bei gleichzeitigen Schlafproblemen.
  3. Chronische Phase: Trotz kritischer Phase wird noch mehr Arbeit übernommen. Das Privatleben wird bedeutungslos oder verschwindet. Ängste und Depressionen treten auf, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Störungen kommen hinzu.
  4. Endphase: Die Leistungsfähigkeit knickt massiv ein. Akute Symptome wie Schwitzen, Pulsrasen, Zittern, erhöhter Blutdruck und Schwäche treten auf, es drohen lebensgefährliche Erkrankungen wie Herzinfarkt, aber auch Suizidtendenzen. Es kann sogar zum plötzlichem Stresstod kommen, der in Japan mit „Karoshi“ einen eigenen Namen bekam.

Der beste Selbsttest ist, das eigene Verhalten zu beobachten, wenn man nicht arbeitet: Wer in solchen Zeiten leidet, sie gerne umgeht und entdeckt, dass er im Leben keine anderen Felder der Freude hat, ist arbeitssüchtig. Auch kritische Hinweise aus dem Umfeld sollten einen aufhorchen lassen: Mit fortgeschrittener Arbeitssucht sinkt die Fähigkeit bei Betroffenen zur Einsicht, es wächst aber die Abwehr und Selbstverleugnung.

Arbeitssüchtig mit Folgen

Sie führt zu Kräfteverschleiß, hohem Stresslevel und fehlender Regeneration. Dies schadet vor allem dem Herz-Kreislauf-System, der Verdauung, der Immunabwehr und der Psyche: Angst und Depression lähmen und wirken symptomverstärkend. Wer arbeitssüchtig ist, gefährdet seine Arbeitsfähigkeit und letztlich den eigenen Arbeitsplatz. Im sozialen Bereich drohen Isolation und Einsamkeit. Letzte soziale Zusammenhänge, falls noch vorhanden, brechen auseinander. 

Ein Suchtverhalten zieht oft weitere nach sich: Das falsche Selbstbild des Arbeitssüchtigen ist oft nur durch Gebrauch von Alkohol, Medikamenten oder Drogen aufrecht zu erhalten. Eine weitere Bedrohung entsteht. Arbeitssucht muss zum Kollaps führen. Dieser vermeintliche Worst Case aus Sicht des Betroffenen ist zugleich seine Chance: Die Situation ohne Selbstverleugnung erkennen, eine Behandlung beginnen und das Leben neugestalten.

Was hilft, wenn man arbeitssüchtig ist?

Ausgleich in der Freizeit ist wichtig, um einer Arbeitssucht vorzubeugen

Anfangs sind Tipps möglicherweise noch zielführend:

  • Keine Arbeit mehr zu Hause machen
  • Nein sagen lernen
  • Freie Tage und Urlaub nehmen
  • Normale Pflichtarbeitszeiten einhalten 
  • Mit Kollegen im Austausch bleiben und Arbeit abgeben
  • Entspannungsübungen und Stressbewältigungstechniken praktizieren bzw. lernen
  • Sport treiben und Zeit in der Natur verbringen

Unterstützendes Coaching hierbei mag hilfreich sein. In späteren Phasen hilft nur eine längere Krankschreibung analog zum Entzug bei stofflichen Süchten. Je nach Zustand bringen dann ambulante Psychotherapie, Tagesklinik oder Krankenhausaufenthalt eine langsame Besserung. Das aber meist erst nach Monaten, da die Hintergründe der Arbeitssucht erst deutlicher werden müssen.

Alternative Strategien müssen dann entwickelt werden: Wer beispielsweise nur durch Arbeit Selbstbestätigung fand, kann lernen, diese auch in anderen Zusammenhängen zu finden.
Wer seine Arbeitssucht als solche erkennt, mag dies zunächst aus gekränktem Stolz abwehren. Einsicht hilft jedoch zu erkennen, zwar an einer ernsten Verhaltensstörung zu leiden, über die es aber profundes Wissen gibt und die veränderbar ist.