Zwiespalt in der weihnachtlichen Gefühlswelt

In vielen Haushalten ist die Adventszeit geprägt von gesellschaftlichen Verpflichtungen: Weihnachtsfeiern im privaten wie beruflichen Rahmen stehen ebenso auf dem Terminkalender wie festliche Veranstaltungen mit Freunden und der Familie. Der Weihnachtsmarkt soll besucht, die vorweihnachtliche Zeit mit besinnlichen Erlebnissen bestückt werden. Und auch, wenn diese Zeit für viele einen positiven Stress bedeutet, genießen die meisten Menschen diese besonderen Momente.
Stress bleibt jedoch auch mit positiven Aspekten verbunden Stress – und kann für Menschen, die durch eine psychische Erkrankung angeschlagen sind, zu einem Problem werden: Stress ist ein vielfältiger Trigger für Stimmungsschwankungen. Die Weihnachtszeit wird somit schnell zu einem Balanceakt zwischen Selbstfürsorge und gesellschaftlichen Verpflichtungen. Unser kleiner Weihnachtsdreiteiler möchte Ihnen daher Hilfestellung geben, ein gesundes Mittelmaß zwischen Weihnachtsfestlichkeiten und Selbstfürsorge zu finden.

Zwiespalt in der weihnachtlichen Gefühlswelt 
„Endlich vorbei!“ stöhnte Thomas, als er sich auf die Couch fallen ließ. „Wieso, es war doch schön! Findest Du nicht? Es war gemütlich, weihnachtlich … und das Essen auf der Weihnachtsfeier war auch lecker.“ antwortete Melanie, während sie die Jacken an die Garderobe hing. „Ich hatte den Eindruck, es hätte Dir auch ganz gutgetan, mal wieder rauszukommen.“ Sie setzte sich neben ihn und schaute ihn fragend an.

„Mal rauskommen!“ schnaubte Thomas. „Wir waren die letzten zwei Wochen doch ständig unterwegs: Adventskaffee bei Deiner Mutter, Adventssingen bei Deiner Schwester und ihren Kindern, die Weihnachtsaufführung der Kleinen, Weihnachtsfeiern im Fußballverein und bei Deinem Chor – und immer hübsch lächeln und sich über die ach so schöne Weihnachtszeit freuen.“ Er grinste seine Frau gekünstelt an, dann ließ er sich wieder in die Kissen sinken. „Glaub mir: Ich bin einfach nur froh, dass es vorbei ist.“

„Dann hättest Du vielleicht bei dem einen oder anderen Termin doch lieber zu Hause bleiben sollen.“ überlegte Melanie. „Warum hast du das nicht deutlicher gesagt? Das Gegrummel kenn ich ja von Dir. Doch früher war es meistens so, dass auf Deine Brummerei und die Unlust die besonders schönen Abende folgten.“

„Ach ja? Und welche Termine hätte ich bitte auslassen sollen?“ Thomas lachte bitte. „Egal, welchen Termin ich abgesagt hätte, ich hätte immer jemanden enttäuscht: Deine Mutter wäre beleidigt gewesen, Du wärst von den Rückfragen Deiner Kollegen genervt gewesen, warum ich nicht dabei bin und an die Tränen von Tinchen will ich gar nicht denken, wenn ich mein Versprechen gebrochen und Ihren Auftritt beim Krippenspiel verpasst hätte. – Also? Welchen hätte ich absagen sollen? Meinst Du, meine Kumpels hätten diesmal Verständnis gehabt, nachdem es letztens schon hieß, ich solle mich mal nicht so anstellen, weil ich mal schlecht drauf bin!? Und übrigens: Simone hat mich nochmal wegen den Feiertagen gefragt, wann wir denn jetzt zu Ihnen und wann zu Deiner Mutter kommen – von meiner Familie will ich gar nicht reden.“

Melanie nickte. „Du hast ja Recht. Es ist gar nicht so leicht, eine gute Mischung zu finden. Aber weißt du was? Wir müssen es doch gar nicht allen Recht machen. Was hältst Du davon, wenn wir die Feiertagsbesuche ausfallen lassen? Ganz ohne Grund sagen wir ab und erklären nur, dass wir Weihnachten dieses Jahr mal alleine feiern wollen. Punkt.“

Erstaunt blickte Thomas seine Frau an: „Ist das Dein Ernst?“ – „Ja, die Geschenke verteilen wir am Vormittag von Heiligabend, da hat ohnehin keiner Zeit. Und den Rest der Tage machen wir es uns gemütlich. Und nächstes Jahr planen wir von vorne herein mehr Zeit für Pausen ein.“

Selbstfürsorge auch an Weihnachten bedenken
Wenn wir erst in der Weihnachtszeit selbst merken, dass uns der Termindruck und die gesellschaftlichen Verpflichtungen zu viel werden, ist es meist schon zu spät. Gerade Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen haben feine Antennen für ihr Umfeld. Somit nehmen sie unterschwellige Spannungen ebenso auf wie die Gefahr, Menschen, die sie lieben, zu enttäuschen. Manch einer reagiert somit gereizt, der andere fühlt sich überfordert oder drängt sich selbst in ein Schauspiel hinein, um sein Umfeld in der heimeligen Weihnachtszeit nicht zu belasten. Es hat seine Gründe, weshalb sozialer Rückzug als ein typisches Anzeichen für eine psychische Gesundheitsproblematik gilt, die gepaart mit Selbstdruck und einem hohen Eigenanspruch, die Erkrankung verstärken.
Selbstfürsorge sollte daher gerade in der Advents- und Weihnachtszeit eine wichtige Rolle spielen. Scheuen Sie sich nicht, Einladungen abzulehnen. Planen Sie sich Pausen in die Vorweihnachtszeit, aber auch an den maßgeblichen Festtagen ein. Ein Spaziergang, eine Entspannungspause bei Tee oder Musik können bereits in einem Zeitrahmen von 30 Minuten helfen, Kraft zu schöpfen. Auch Meditation und Atemübungen finden in diesem Zeitfenster einen guten Platz.

Passen Sie jedoch auch auf, dass Sie sich nicht ganz in Ihr Schneckenhaus zurückziehen. Eine gesunde Mischung zu finden ist schwer, kann Ihnen jedoch einen guten Spielraum für Ihr Wohlbefinden im Genesungsprozess und bei der Vermeidung von neu auftretenden, depressiven Episoden geben. Die Gefahr, ein Verhaltensmuster mit Vermeidungsverhalten zu entwickeln besteht ebenso wie die vollständige Isolation.

Im zweiten Teil unserer Reihe zeigen wir Ihnen Ideen auf, um den Termindruck zu mindern, persönliche Entscheidungshilfen zu ermitteln und eigene kleine Rituale für die Stressvermeidung in der Weihnachtszeit zu schaffen – nicht nur für Menschen mit Depressionen und psychischen Erkrankungen.