Gongtherapie – Klang, Körper und Psyche

09 Dez 2022
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Schlossparkklinik Dirmstein
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Seit einigen Jahren bietet die Schlossparkklinik Dirmstein neben aktiven Musiktherapie die sogenannte Gongtherapie nach Dr. Peter Heß an, der die Sitzungen selbst leitet. Was die Klänge des südostasiatischen Idiophons in uns bewirken können, haben wir im Selbstversuch erforscht.

Es ist ein sonniger Herbstmorgen, als ich mich – für meine Verhältnisse viel zu früh am Tag – auf den Weg mache, um an einer Gongtherapie-Sitzung teilzunehmen. Eingeladen hat mich Dr. Timo Hoppert, Musiktherapeut und Leiter des Bereichs Fachtherapie an der Schlossparkklinik Dirmstein. Denn darüber zu schreiben, sagt er, ist kaum möglich, ohne es einmal selbst erlebt zu haben. In der Rückschau sage ich: Recht hat er.

Bevor es losgeht: Vorbesprechung zur Gongtherapie

Wer als Patient:in daran interessiert ist, an der Gongtherapie teilzunehmen, wird nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern bekommt sowohl das Konzept als auch den Ablauf in der Vorbesprechung erklärt. Zusammen mit den drei anderen „Neuen“ sitze ich also auf bequemen Matten auf dem Fußboden und höre Herrn Dr. Heß, der die Gongtherapie durchführt, erst einmal aufmerksam zu. Seine Worte darüber, wie wir auf welchen Ebenen mit unserer Umwelt verbunden sind, klingen etwas abstrakt für mich – und zugegeben auch etwas esoterisch. Doch ich bin neugierig und versuche offen zu sein für die kommende Erfahrung. Und so antworte ich Ja, als Dr. Heß schließlich die Frage stellt, ob wir wirklich teilnehmen wollen. Zuvor hatte Heß darüber gesprochen, was die Klangreise möglicherweise auslöst: von starken körperlichen Reaktionen bis zu solch einer tiefen Entspannung, dass Patient:innen einschlafen. Das alles sei in Ordnung; ein Therapeut jederzeit unterstützend da, wenn Teilnehmer:innen durch Handheben Bedarf signalisieren.

Die Einstimmung: Körperwahrnehmung schärfen

Kurze Zeit später geht es los. Die Patientinnen und Patienten betreten den Raum, Herr Dr. Hoppert, Herr Dr. Heß und Herr Adam, die zusammen die heutige Sitzung der Gongtherapie leiten, begrüßen die Eintreffenden und stellen sich mit ihnen im Kreis auf. Mit Lockerungs-, Dehnungs- und Atemübungen bereiten wir uns für das vor, was gleich kommt – und sensibilisieren unsere Körperwahrnehmung. Denn sich selbst (gezielt) zu spüren, zu fühlen, was die Klänge gleich in uns auslösen werden, vor unserem inneren Auge auftauchende Bilder zuzulassen und bewusst anzusehen, all das wird für die folgende, nennen wir sie mal „akustische Introspektion“ eminent sein. 

Durch Achtsamkeitsübungen wird die Körperwahrnehmung geschärft

Eine Reise ins Innere mit dem Gong als Resonator

Kurze Zeit später liegen wir im Raum verteilt an selbstgewählten Plätzen auf Matten. In der Annahme, dass gleich jemand den Gong schlägt, schaue ich auf die riesige, hängende Klangscheibe, die zusammen mit ihrem Rahmen irgendwie ein bisschen aussieht wie eine durch ein Tor scheinende goldene Sonne. Doch die bleibt erst einmal unberührt.

Der Gong allein macht die Therapie nämlich weder aus, noch „läutet“ er sie ein. Fast zaghaft bildet aber das Monochord den klanglichen Auftakt. Schrittweise setzen immer neue Instrumente wie Tanpura und Tabla ein, auch Obertongesang, und führen uns durch die Etappen dieser Klangreise. Es kommen Ocean Drum und Didgeridoo hinzu, bauen einen Klangteppich auf, der sich mehr und mehr verdichtet, bis er stark genug ist, den alles durchdringenden Ton des Gongs zu tragen. 

Dr. Peter Heß: „Erfinder“ der Gongtherapie

Für die Gongtherapie kommen unterschiedliche Instrumente zum Einsatz.

Gespielt wird dieser von Dr. Peter Heß höchstpersönlich, der die Gongtherapie „erfunden“ und über die letzten gut 30 Jahre kontinuierlich weiterentwickelt hat. Wie man auf so eine Idee kommt, frage ich ihn nach der Sitzung. Zwei Dinge: Er, der die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Frankenthal im Metznerpark damals leitete und im Bereich der Musik- und Klangtherapie schon erfahren war, hatte zum einen die Freiheit, zu experimentieren, und zum anderen Patienten, von denen viele selbst – aber auch transgenerational – vom Krieg traumatisiert waren. Heß begriff das Potential des Gongs, mit seinen dröhnenden Klängen deren tief vergrabene Erinnerungen beispielsweise an Bombenangriffe aus dem Zweiten Weltkrieg freizulegen. Dieser Ton machte etwas mit ihnen, das andere therapeutischen Maßnahmen nicht zu bewirken vermochten. 

Ein männlicher Patient kam damals immer wieder mit depressiven Episoden in die Einrichtung. Kehrte er nach der Behandlung nach Hause zurück, wurde seine Frau krank. Hatte sie die Therapie durchlaufen, erkrankte wiederum er an Depressionen. Das Team war ratlos. Dann nahm der Patient an der Gongtherapie teil. Eine Sitzung, die ihn sichtlich aufwühlte. Im anschließenden Gespräch kommt ans Licht, was unsäglicher Schmerz ins Dunkel des Bewusstseins gedrängt hatte: Während eines Bombenalarms im Zweiten Weltkrieg war der Patient mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kind in den Schutz des Kellers geflohen und hatte dort seine Waffe gereinigt. Es löste sich ein Schuss. Und traf die Tochter.

Ich schlucke. 

„Über den tragischen Tod des Kindes hat das Ehepaar nie ein Wort gesprochen – bis eben zu jenem Moment“, fährt Heß fort. Trotz, oder gerade wegen der Dramatik des Ereignisses ein Durchbruch. Endlich fruchtet die Therapie.

Am Ufer gestrandet

Zurück zu der Sitzung, der ich gerade beiwohne. Der Gong, der im Übrigens nicht geschlagen, sondern – man möchte fast meinen – mit dem sich vorsichtig über seine Oberfläche windenden Schlägel Zentimeter für Zentimeter abgetastet, ja gestreichelt wird, ist der Sansula gewichen. Es kehren Tanpura Koto und Tabla wieder, schließlich ebbt ihr Klang ab und versiegt in Stille. Das sachte Gitarrenspiel von Thomas Adam, dem dritten anwesenden Musiktherapeuten, „weckt“ uns und versucht mit seinen harmonischen Akkorden der Reise in unser Inneres eine positive Ankunft im Hier und Jetzt zu bereiten.

Das Team um Dr. Heß geht reihum, verteilt Zeichenkarton und Pastellkreide, um der Flüchtigkeit unserer Eindrücke Dauer zu geben und unsere Erfahrungen (be-)greifbarer zu machen. Ich versuche den rauschenden Strom zu malen, der sich aus dem prasselnden Regen der Ocean Drum „in mir“ bildete, und Erinnerungen an das Jahrhundert-Hochwasser hochspülte, das ich 2002 miterlebt hatte. Ins offene Meer getragen und schließlich an dessen Ufer gestrandet, umhüllte mich während des Gongs ein gelb strahlender Kokon – wie aus Sonnenlicht – in dem ich mich offensichtlich so wohl gefühlt haben muss, dass ich, Sie ahnen es, einschlief.

Das Erlebte in Worte fassen

Es ist mir etwas peinlich, als ich davon in der gemeinsamen Runde im Anschluss von dieser Erfahrung berichte. Doch ich bin froh darüber, wie positiv ich sie dennoch bewerten würde. Anderen Patienten erging es nicht so. Manchen ist das, was sie während der Gongtherapie erlebt haben, zu intensiv, um es in diesem Kreis in Worte fassen zu wollen. Wiederum andere beschreiben Bilder des Grauens. Doch sie wirken gefasst dabei. Sie scheinen zu wissen, dass sie hier einen sicheren Rahmen haben. Und jede Erfahrung, ob positiv oder negativ, wertvolle Einsichten mit sich bringt. 

In der zweiten Gesprächsrunde reflektieren die Teilnehmenden nun nicht mehr nur ihre eigenen „Klangbilder“, sondern die der anderen. Sie sprechen sich Mut zu. Nehmen Anteil. Beobachten, wie sich die inneren Bilder dieser Reisen verändern. Nehmen Abschied, wenn es ihre letzte Gongtherapie ist. Denn sie kennen sich inzwischen gut, schließlich ist die Teilnahme an mindestens vier aufeinanderfolgenden Sitzungen empfohlen. Später werden sie einen Erfahrungsbericht über die heutigen Erlebnisse schreiben, ihn bei den Therapeuten einreichen und am Ende ihres Aufenthalts mit nach Hause nehmen. Als Erinnerung, Anker, Vergewisserung ihres Fortschritts…

Was Musik und Klang mit unserer Psyche machen

Die Gongtherapie nach Dr. Peter Heß ist eine Form der rezeptiven Musiktherapie, die bei Depression und anderen Erkrankungen angewandt werden kann.

Doch es bleibt die Frage: Wie kann das sein? Warum schaffen es Klänge, derart eindrückliche und vielfältige Vorgänge in uns auszulösen? Ein Teil der Erklärung liegt im Klangspektrum der Instrumente, die alles andere als zufällig gewählt sind. Die Trommel? Erinnert an den Herzschlag unserer Mütter, den wir schon als Föten im Uterus hören können. Das Didgeridoo? Ähnelt Darmgeräuschen. Ocean Drum und Gong hingegen dem Rauschen des Blutes in den mütterlichen Gefäßen. Alles Töne und Klänge, die wir bereits ab der 24. Schwangerschaftswoche wahrnehmen konnten und bis zur Entbindung unser ständiger akustischer Begleiter waren. Quasi der Soundtrack unseres Lebens. Musiktherapeuten gehen davon aus, dass diese prä- und perinatalen Engramme (vorgeburtliche Gedächtnisspuren) unsere Psyche stark prägen und Klänge wie die des Gongs dazu in der Lage sind, diese Spuren „wiederzubeleben“.

Und längst ist erwiesen, welche zahlreichen anderen Effekte Musizieren und das Hören von Musik auf unser Gehirn haben: von der Ausschüttung körpereigener Glückshormone bis zur „Neuverschaltung“ von Nervenzellen, durch die unseren verschiedenen Hirnreale stärker miteinander vernetzt werden. Sowohl aktive als auch rezeptive Musiktherapie haben sich daher in der Behandlung von Depression, Traumata und Angststörungen als komplementäre Verfahren immer weiter etabliert. Dr. Timo Hoppert hat über die Wirksamkeit der Gongtherapie übrigens promoviert. Klicken Sie hier, um die Dissertation zu lesen.

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